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Klimakonferenz der Völker der Welt am 20.-22. April 2010 in Bolivien
Bericht : Dr. José Ramírez Voltaire
Der Konferenz vorausgegangen war bekanntlich im Dezember 2009 der sogenannte Klimagipfel in Kopenhagen, wo von einem elitären Kreis der reichen Länder Vereinbarungen getroffen wurden, ohne die Vorstellungen und Interessen der Mehrheit der Länder zu berücksichtigen. Mehrere Präsidenten hatten sich geweigert, diese Vereinbarungen zu unterzeichnen, unter ihnen der Präsident Boliviens Evo Morales, der in einer Rede sagte „die Stimme der Völker der Welt wurde in Kopenhagen weder gehört noch befolgt und die vorher von den Staaten untereinander abgestimmten Verfahrensweisen wurden nicht respektiert“[2]. Vor allem aus diesem Grunde habe er die Konferenz der Völker der Welt nach Cochabamba einberufen. „ …Die einzige Form, ein positives Resultat …zu garantieren, ist die breite Beteiligung der Völker der Welt…“ Wenn die Regierungen es nicht schaffen, vernünftige Lösungen herbeizuführen, müssen die Menschen per Referendum gefragt werden. Bezeichnend für die Verfahrensweise im Zusammenhang mit der Konferenz von Kopenhagen war die Reaktion der USA auf die Weigerung Ecuadors, die Vereinbarung zu unterschreiben: Dem Land wurden 2.5 Millionen Dollars gestrichen. [*] [2]
Man hatte ca. 15.000 Teilnehmer/innen erwartet, es kamen aber 35.352 Personen, davon waren 9.254 ausländische Delegierte, die soziale Bewegungen und Organisationen aus 140 Ländern und fünf Kontinenten vertraten. Anwesend waren zudem Delegationen von 56 Regierungen. Viele konnten nicht anreisen, vor allem die Europäer, wegen der Behinderung des Luftverkehrs infolge des Vulkanausbruchs in Island.
Die Akteure der Konferenz waren Menschen aus 140 Ländern; es gab nicht die Dominanz der Regierungen und der anderen Institutionen, wie es bei allen großen Konferenzen sonst der Fall ist. Man hat kaum die Präsenz der NGOs und der offiziellen Kirchen bemerkt. Als Beispiele stellvertretend für viele Betroffene, die sich äußern, mit diskutieren und entscheiden konnten :
Ein Mensch aus einem Inselstaat im Pazifik, der mit Recht besorgt ist, dass seine Heimat in wenigen Jahren im Meer versinkt.
Eine Aymara-Frau aus dem Hochland Boliviens, die am Ufer eines Flusses lebt und berichtet, dass sie früher vom Fischfang ihre Familie ernähren konnte, jetzt aber infolge der Kontamination des Wassers dies nicht mehr möglich ist.
Die Verfahrensweise der Arbeitsgruppen war sehr partnerschaftlich, egalitär. Keine Spur von autoritärem Gehabe der Diskussionsleiter/innen. Der Versuch, Konsens zu erreichen, war oberstes Gebot, entsprechend der bewährten Tradition der andinen Gemeinden ( „Ayllus“ )
Die sprachliche Verständigung war mit Hilfe von Dolmetschern und Dolmetscherinnen hervorragend organisiert. Die „Sprache“ war nicht technokratisch – soweit es ging, sondern populär. (normaler Menschenverstand)
Es gab 17 Arbeitsgruppen + eine ( mesa 18 )
Ich möchte hier nicht über alle Themen und Arbeitsgruppen berichten, sondern beschränke mich auf Kommentare zu einzelnen, mir wichtig erscheinenden Sachthemen.
„Wir leben auf einem (im Maßstab des Weltalls) kleinen Planeten, dessen Ressourcen begrenzt sind und den wir Pachamama – Mutter Erde – nennen.“ In der Arbeitsgruppe Nr. 1 wurde festgestellt, dass in dieser globalisierten Welt unseres Planeten das Streben nach immer mehr Wachstum der Wirtschaft, was immer mehr Konsum nach sich zieht, immer mehr Müll und Kontamination produziert, der Kampf um Ressourcen, um Wasser und Nahrung usw. als Hauptursachen des Klimawandels angesehen werden müssen. „Wachstum“, „Konsum“ „hemmungslose Ausbeutung der Ressourcen“ gehören zum Wesen des Kapitalismus. Deshalb wurde Konsens erzielt, das kapitalistische System grundsätzlich in Frage zu stellen.
Die Konferenzteilnehmer waren sich einig, dass nach wie vor das Kyoto-Protokoll von allen Ländern unterzeichnet werden sollte und in Zukunft maßgebend sein soll. Bezeichnenderweise haben einige der sogenannten entwickelten Länder – an der Spitze die USA – das Protokoll immer noch nicht unterzeichnet.“ Wenn diese Länder das Kyoto-Protokoll respektiert und vereinbart hätten, ihre Emissionen innerhalb ihrer Grenzen wesentlich zu reduzieren, wäre die Konferenz in Cochabamba nicht notwendig gewesen“, sagte Evo Morales in seiner Rede. [1]
Ein weiteres Ergebnis der Konferenz war die Verabschiedung eines Entwurfs der „Allgemeinen Erklärung der Rechte der Mutter Erde.“ ( Die UNO hatte auf Vorschlag von Evo Morales bereits im November 2009 den 22. April als den „Tag der Mutter Erde“ deklariert ) Damit verbunden wurde die Forderung nach der Einrichtung eines „Tribunals für Klima-und Umweltgerechtigkeit“.
Jeder Mensch und jedes Land trägt durch seine unangemessene Lebensführung bzw. durch seine Politik einen Teil der Verantwortung, aber die sogenannten entwickelten Länder, die Industrienationen, wie die USA, China, Russland, die Europäische Union sind überproportional verantwortlich und müssen die finanziellen Lasten entsprechend tragen. In der Konferenz wurde deshalb gefordert : „ Die entwickelten Länder müssen sich zu einer jährlichen Finanzierung aus öffentlichen Mitteln, zusätzlich zur Offiziellen Entwicklungshilfe, verpflichten, um in den Entwicklungsländern dem Klimawandel entgegentreten zu können. Diese Finanzierung muss direkt, ohne Bedingungen und ohne Verletzung der Souveränität der Staaten erfolgen“ [1]
Ausreichende Finanzmittel sind vorhanden, sie werden lediglich ungerecht verteilt. Evo Morales äußerte den Gedanken : „Ich habe kein Verständnis dafür, dass so viel Geld für den Tod, Kriege ausgegeben wird, anstatt es für das Leben, für den Frieden und zum Schutz des Klimas zu verwenden.“
Alle Menschen genießen die gleichen Rechte – dies muss auch für die Angehörigen der indigenen Völker gelten. Leider wird dieser Grundsatz nicht überall befolgt. Deshalb wurde auf der Konferenz in einer speziellen Arbeitsgruppe der volle Schutz und die Anerkennung der Rechte, der Kultur – der „Weisheit“ – der indigenen Völker gefordert.
Seit langem stellen wir fest, dass der Klimawandel Menschen zur Flucht in andere Länder treibt. Weitere Ursachen für die Migration sind Kriege, die nicht selten ebenfalls auf Ursachen zurückzuführen sind, die mit der
Veränderung der Natur zusammenhängen. Z.B. mit Wasserknappheit. Ein spezieller Arbeitskreis zu diesem Thema forderte die Öffnung aller Grenzen für Migranten und die Abschaffung aller restriktiven Gesetze, welche die Migration behindern, z.B. in Europa und USA. Am Rande der Konferenz wurde die Forderung nach einem Tribunal für die Rechte der Migranten bekannt.
Es wurden auch andere Themen behandelt, die ich hier nur kurz erläutern möchte:
- „Schaffung von multilateralen und multidisziplinären Mechanismen für die Übertragung von Technologien. Als eine Maßnahme von grundlegender Bedeutung wird die Schaffung eines Fonds für die Finanzierung und Erfassung geeigneter Technologien betrachtet, die von geistigen Eigentumsrechten befreit sein müssen, besonders vom Patentrecht und die von privaten Monopolen in die öffentliche Verfügung übergehen und frei zugänglich sein müssen.“ [1]
- Nahrungssicherheit reicht nicht aus, man sollte eine Nahrungsautonomie fördern. Jedenfalls werden Geschäfte mit Transgenicos, Monokulturen, die Produktion von Biodiesel, etc. abgelehnt.
- „Die Erste Weltkonferenz schlägt die Ersetzung des REDD (Reduktion von Emissionen aus Entwaldung und Schädigung der Wälder) durch einen neuen Mechanismus vor, der nicht auf der Förderung des Kohlenstoffmarktes basiert, sondern die Souveränität der Staaten und das Recht der Völker auf freie Entscheidung nach rechtzeitiger Information respektiert. Dieser neue Mechanismus soll in direkter Weise ökonomische und technologische Ressourcen der entwickelten Länder übertragen, um die Wiederherstellung und Erhaltung der Wälder und Urwälder zu bezahlen.“ [1]
Es wurde beschlossen, daß am 22. April 2011 ein Weltklimareferendum stattfinden soll.
Es ist geplant, ein ständiges Sekretariat in Cochabamba zu gründen.
Ein neues Treffen ist für April 2011 vorgesehen.
Ziel ist es, eine globale Bewegung für Klimaschutz zu starten.
Evo Morales wurde beauftragt, die Beschlüsse und Ergebnisse in der Welt bekannt zu machen.
Während der gesamten Konferenz wurde über eine Alternative zum Kapitalismus diskutiert. Man nutzte das Beispiel der Kultur der Anden, das bis heute mit dem Prinzip der Harmonie zwischen den Menschen und der Natur in der Gemeinschaft praktiziert wird.
El Sumak Kawsay ( in der Quechua – Sprache ) bedeutet „gutes Leben“ [4] [5] und ist ein Prinzip, dementsprechend alle gleich gut leben sollen (gut arbeiten, gut essen, gut leben, gut tanzen, gut regieren, etc.). Dies ist nur möglich, wenn alle Menschen gleichermaßen gut in einer gesunden Natur leben können. Das Prinzip „besser Leben“ charakterisiert das kapitalistische Leben, mit unaufhörlichem Wachstum, was nur mit konstantem Konsum möglich ist.
Es ergibt sich hier automatisch die Überlegung eines neuen Demokratieverständnisses (nach Leonardo Boff): „Super-Planetarische Demokratie“ [3]. Dies bedeutet wiederum, dass wir eine globale Solidarität brauchen, weil wir alle ohne Ausnahme von unserem Planeten abhängig sind.
Die Konferenz wurde aufgrund des Scheiterns der Kopenhagener Konferenz und zur Vorbereitung der nachfolgenden Weltklimakonferenz im November 2010 in Cancun, Mexico einberufen. Die Arbeitsgruppe 18 war nicht angemeldet, wurde jedoch außerhalb des offiziellen Konferenzortes toleriert.
Während der Fokus der Cochabamba Konferenz auf das globale Klimaproblem und die kommende Konferenz in Cancun gerichtet war, hat die Arbeitsgruppe 18 die in Bolivien vorhandenen Klimaprobleme diskutiert: Anlage von Fernstraßen durch den Urwald, Schließung von Minen wegen Kontamination, Bau von Staudämmen...
Bei der Frage, warum man die Minen nicht einfach schließen würde, antwortete Evo Morales mit der Gegenfrage, was denn dann mit den Arbeitern passieren solle.
Jedes Land, jeder Mensch....in Afrika, Lateinamerika, USA etc. trägt Verantwortung und muß zu Lösungen beitragen; dieser Prozess ist allerdings nur Schritt für Schritt umsetzbar.
Meine Erfahrungen in Deutschland bei der Berichterstattung über die Konferenz von Cochabamba
Ich war von zwei deutschen Organisationen beauftragt, die Konferenz zu besuchen: VDAS (Vereinigung Deutsch Ausländische Solidarität) und IPPNW – AK Süd Nord (Ärzte gegen Atomkrieg in sozialer Verantwortung).
Die Medien, mit wenigen Ausnahmen, haben die Konferenz von Cochabamba weitestgehend ignoriert. Die allgemeinen politischen Gremien, sowie europäische Regierungen haben kaum Notiz von dem Treffen genommen. Ich empfinde dies als eine unglaubliche Arroganz. Während Schlagzeilen aus den USA, Europa oder sonstigen westlichen Staaten generell weit oben stehen, scheinen die Probleme der Völker des Südens und deren Forderungen nach Konsequenzen ignoriert zu werden.
Ich persönlich sehe der Konferenz in Cancun pessimistisch entgegen, scheint es doch so zu sein, daß die ökonomische Krise, mit dem Versuch, das kapitalistische System zu retten, jegliche Lösung für den Klimawandel blockieren wird.
Mit meinen Eindrücken möchte ich die wenig kommunizierten und weitestgehend unbekannten Ergebnisse weitergeben....in der Hoffnung, eine solidarische Bewegung, auch in Europa zu verstärken.
Das Bild zeigt uns den Weg : Das Kind mahnt die Mutter – unsere Generation – das Richtige zu tun, den Planeten zu retten. Wenn wir versagen, worauf einiges hindeutet, was dann ? Erziehen wir wenigstens unsere Kinder richtig, damit sie in der Lage sind, unsere Fehler zu korrigieren und die Mutter Erde zu retten ? Das ist doch wohl das Mindeste, was das Kind auf unserem Bilde erwartet.
CANCUN in Mexiko, November 2010, ist die nächste Weltklimakonferenz – hier wird sich entscheiden, ob die Weltgemeinschaft wie bisher in Kopenhagen versagt oder ob verbindliche Beschlüsse zum Klimaschutz getroffen werden, zB. Die Unterzeichnung des Kyoto-Protokolls durch alle Staaten und ob zumindest die Ideen von Cochabamba diskutiert und berücksichtigt werden.
[2] »Indígenas sind nicht die Gärtner der Artenvielfalt«, Gespräch mit Walter Prudencio Magne Veliz
[3] An ecological design for democracy, von Leonardo Boff
[4] Statt EU-Vertrag lieber die Verfassung Boliviens
[5] Sumak Kawsay (“Gutes Leben”) und die Zäsuren der Entwicklung von Pablo Dávalos
http://www.vereinigung-deutsch-auslaendische-solidaritaet.de/
[*] Der Präsident Ecuadors, Correa, fand die richtige Antwort, indem er zusicherte, den USA dieselbe Summe zur Verfügung zu stellen, falls sie „unseren Vorschlägen“ zustimmten und das Kyoto-Protokoll endlich unterschreiben würden.